Nirgendwo entlang der ehemaligen Frontlinie ist die Geschichte des Gebirgskrieges so „greifbar“ wie in den Vicentinischen Alpen. Es entstand das wohl spektakulärste Militärwege-Netz der Alpen. Ein Trail faszinierender als der andere. Die erbittert umkämpfte Front musste vor 100 Jahren pausenlos mit Nachschub versorgt werden. Dann gerieten viele dieser Wege in Vergessenheit und wir durften sie mit unseren Bikes – und oft mit stockendem Atem – «wieder entdecken».

Am ersten Tag erklimmen wir das letzte Bollwerk der italienischen Alpini. Strategisch war der Gipfel perfekt gelegen vor der grossen Ebene von Vicenza. 1700 Meter ist er hoch und entsprechend imposant fallen die steilen Hänge rund um uns herum in die Tiefebene ab. Auf dem Gipfel hätte man den perfekten Überblick in unser gesamtes Tourenrevier. Doch je länger der Tag dauert, desto mehr Nebel zieht auf. Knapp unter dem Gipfel sind wir schliesslich in Wolken gehüllt. Die Pause im kleinen Rifugio ist entsprechend kurz, die Sicht beträgt nur noch 20 Meter, unser schmales Weglein ist ein wunderschön angelegter Alpini-Steig. Nur die Aussicht fehlt. Runter geht’s rasant auf diesem unglaublich langen Trail. Wir rauschen unter die Wolkendecke und können doch noch etwas von dieser Aussicht geniessen. Ein kleiner Gegenaufstieg folgt bevor das unglaubliche Trail-Finale seinen Start nimmt…

Unser Ziel vom zweiten Biketag: Eine 6 Quadratkilometer grosse Karstfläche, welche der Schauplatz des grössten Minenkrieges war. 29 Monate dauerte das Ringen um diesen Berg. Nachdem die Materialschlacht an der Erdoberfläche ohne Erfolg im Stellungskampf erstarrte, begann der unterirdische Krieg. Beide Seiten bohrten Stollen unter die Minenkammern der Gegner und sprengten sich gegenseitig, samt dem Berg, in die Luft.
Die Front musste mit Hunderttausend Tonnen Material versorgt werden und so entstanden Militärwege, welche seines gleichen suchen. Auf diesen Wegen tauchen wir ein in eine einzigartige Naturlandschaft die schöner kaum sein kann und tiefe eindürcke hinterlässt. Rauf wie runter ist es einfach nur atemberaubend schön und wir staunen, was die Wegbaumeister damals geleistet haben.

Satte 1000 Höhenmeter fallen hier die Berge nahezu senkrecht ab und markieren dabei spektakulär das Ende der Alpen. Im Krieg war dies die Rückzugslinien der italienischen Truppen. Der komplette Grat ist mit einem System aus Militärwegen erschlossen. Vor der morgigen Königsetappe gibt es heute eine Tour mit «nur» 1500 Höhenmetern. Trotzdem werden wir mächtig gefordert. Der gut versteckte Weg wird durch die hohe Vegetation zu einem wilden Ritt, welcher auch eine gesunde Portion Schwindelfreiheit fordert. Auf spektakulärste Art schlängelt er sich in die Tiefe. Wir rauschen hinunter. Manchmal stockt der Atem. Unendlich lange folgt Serpentine um Serpentine. Wer hier das Hinterrad versetzen kann, ist definitiv im Vorteil.

Der spektakulärste Teil der Vicentiner Alpen sind die «Piccole Dolomiti». Steile Kalksteinfluchten reichen über 2200 Meter hoch, das Gelände ist enorm verwinkelt. Nur dank eines ausgeklügelten Militärwegenetzes ist es möglich, in dieses unwegsame und weit abgelegene Gelände vorzudringen. Ein Abenteuer sondergleichen ist die gesamte Traversierung dieser Gebirgsgruppe. Voraussetzung für das Gelingen dieser Challenge ist nicht nur eine top Kondition und eine versierte Fahrtechnik, sondern auch eine absolut stabile Wetterlage. Heftige Gewitter mit Hagel oder auch Schneefälle im Sommer sind hier keine Seltenheit.
Bis der Kamm erreicht ist und die eigentliche Traversierung starten kann, werden bereits ordentlich Körner benötigt. Dann beginnt das alpine Schauspiel. An steilen Flanken entlang, über Kämme und Pässe hinweg fahren wir stetig Richtung Westen. Pausenlos ändert sich die atemberaubende Szenerie. Die Sicht reicht vom Adamello-Massiv, über die Brenta, die Dolomiten, die Küste von Venedig bis zum Gardasee. Diese Tour gehört alpenweit zu den faszinierendsten!

Dass es für die Wegebaumeister des 1. Weltkrieges keine Grenzen gegeben hat, erleben wir am 5. Tourentag. Sogar Wege in senkrechte Felswände mit Überhängen wurden in den Felsen hinein gebaut. Dieser Felsvorsprung wurde als „Salto del Granatiere“ (Grenadiersprung) bekannt, nachdem einige Grenadiere, die dort umzingelt waren und denen die Munition ausgegangen war, einige der österreichisch-ungarischen Angreifer schnappten und mit ihnen von der Klippe sprangen.
Der lange Aufstieg führt in einem Zug aus dem Tal empor bis in die steilen Flanken den Gipfelregion. Ein Tunnel führt uns mitten in die senkrechten Felswände. Der Weg am Abgrund ist einzigartig und habe ich in dieser Art noch nicht gesehen. Die Abfahrt fordert und fördert – das erlebte muss zuerst sortiert werden. Das Adrenalin pumpt.

Der letzte Tourentag leitet uns noch mal auf die Trails am Nordende der Vicenzer Ebene. Diese Gebirgskette steht in der Verlängerung des Monte Grappa, welcher einige Kilometer weiter im Osten liegt. Oben ankgekommen fahren wir mehrere Kilometer quasi über einen riesigen Aussichtsbalkon. Wäre die Luft etwas klarer würden wir die Küsten Venedigs sehen. Hoch über dem Talboden liegen verträumte Almen – genau hier beginnt unsere Abfahrt. Im steilen Almgelände ist das Wegetrassee fast komplett verschwunden. Nur Insider wussten um den exakten Beginn des ominösen 84-Tornanti-Trails. Der Name ist Programm. Fast unendlich lange geht es durch 84 Spitzkehren auf diesem Militärsteiglein dem Tal entgegen. Er ist einer der vielen Versorgungswege welcher zur Hochebene von Asiago hochführt. Ein über tausend Tiefenmeter langer Serpentinen-Tanz der beeindruckt und prägt. Was für ein Finale.
Euch allen una grande „grazie mille“ für dieses gemeinsame und atemberaubende Spektakel welches wir in den Vicentiner Alpen erleben durften. Eine Bikeregion, welche bis heute, im Schatten des Gardasees, unentdeckt und einsam geblieben ist. Es war wunderschön mit euch zusammen diese Emotionen und den Bikespirit zu leben und zu teilen.


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