Auf den uralten Wegen der Säumer, Walser, Partisanen, Pilger, Hirten und Söldner bikten wir vom Vierwaldstättersee über die Alpen bis zum Lago Maggiore. Eine Tour durch ein offenes Geschichtsbuch auf der wir viele historische Spuren erleben durften. Rund 150 Jahre, nachdem der Saumverkehr endgültig zum Erliegen kam, machten wir uns mit dem Bike auf den Weg gen Süden. Dabei erlebten wir ein Trail- und Gebirgsspektakel kombiniert mit edelster «Bike-Materie» und feinstem Bikespirit, inklusive einer Prise Pioniergeist.
Die Sbrinzroute beginnt in Stansstad am Vierwaldstättersee. Im grossen Sust-Gebäude wurde einst das Saumgut von den Schiffen auf die Maultiere umgeladen. Nun folgte der anstrengende Landweg weiter Richtung Süden. Der «offiziellen» Sbrinz-Route folgen wir 25 Kilometer bis zur ersten grossen Verzweigung. Vor Jahrhunderten galt es an dieser Stelle zwischen der direkten Süd-Route oder der längeren Ost-Route zu entscheiden. Strecken-Anpassungen waren zur Zeit der Säumer gang und gäbe. Wegen der kleinräumigen politischen Gliederung und deren ständiger Veränderung, gab es auch immer mal neue Zollstationen welchen man – wenn möglich – ausgewichen ist. Aber auch kriegerische Auseinandersetzungen oder Belagerungen von wichtigen Übergängen führten immer wieder zu beschwerlichen Ausweichrouten. Ich wähle für meine Tour die längere Ost-Variante weil der Trailanteil höher ist und die historischen Wegabschnitte noch besser erhalten sind.
Der erste Tag zeigt schon mal was uns Konditionell, Fahrtechnisch und Trailmässig erwartet. Wir sind mitten in einer der wildesten und spektakulärsten Landschaften der Zentralschweiz. Das Wetter fordert mich heraus, da die angekündeten Gewitter deutlich früher kommen als vorausgesagt. Mit Co-Guide Markus kann ich die Gruppe splitten und ich schaffe es, die ganze Gruppe fast trocken durchzubringen. Die Landschaftsszenerie beeindruckt, da ist eine Übernachtung in einem heimeligen Berggasthaus, 1000 Meter über dem Talboden und inmitten dieser Bergwelt, genau das passende.
Die ersten Sonnenstrahlen tauchen die Bergspitzen in goldenes Licht. Ein magischer Moment. Da wir auf dem Berg übernachtet haben startet der zweite Tag direkt mit einer Abfahrt. Im Talboden biegen wir ein auf die nächste alte Saumroute. Über Jahrhunderte sind hier immer wieder neue Wege und Strassen entstanden. Vor allem im 16. Jahrhundert, als grössere Kunstbauten möglich wurden, wurde diese Route immer wichtiger. Der alte Saumweg ist abschnittsweise noch prächtig erhalten. Mit vielen von diesen Wegen habe ich mich befasst und erzähle meiner Gruppe ihre Geschichten. Auf diesen Wegen tauchen wir hinein in die Vergangenheit und erkennen Spuren längst vergangener Zeiten.
Mehr und mehr macht sich der Einflussbereich der Walser bemerkbar, welche im 12. Jahrhundert ihre alte Heimat – das Goms – verlassen hatten um neue Siedlungsräume aufzusuchen. An vielen Orten prägten sie in diesen Zeiten den Saumhandel. Sie gehörten nicht nur zu den versiertesten Wegebauern dieser Epoche. Sie waren es sich auch gewohnt mit Vieh und Last über höchste Pässe zu gehen und waren dementsprechend erfahren im Umgang mit Natur und Wetter.
Am dritten Tag stehen die höchsten Übergänge unserer Tour auf dem Programm. Aus den Zentralalpen geht hinein in die Lepontinischen Alpen. Ein Kontrast welcher kaum grösser sein könnte. Stundenlanges Trail-Biken ist angesagt und dies in einer der schönsten Alpenlandschaften der Schweiz. Wir dringen immer mehr vor ins Hochgebirge – Fels und Gletschereis sind zum Greifen nah. Diese alte Route war beim Saumhandel wie auch beim Söldnerwesen gleichermassen beliebt. Die Söldner zogen jedoch weiter bis zum Hafen von Genua, von wo die jungen Soldaten nach Spanien verschifft wurden.
Ein aussichtsreicher Höhenweg, mit Blick in die Tessiner Alpen, leitet uns kontinuierlich in Richtung Piemont. Alte Dörfer liegen an der Route, hier befand sich einst ein wichtiges Hospiz, wo sich die Wege Richtung Süden oder Westen trennten. Güter wurden umgeschlagen und es herrschte reges Treiben. Der neu angelegte Trail führt uns nun hinein in die wilde und malerische Bergwelt. Ein Juwel eines Trails der uns an Flanken, durch Täler und über Pässe hinweg führt. Atemberaubend und spektakulär! Immer wieder warten kurze knackige Herausforderungen – genau das richtige für unsere versierte und starke Gruppe. Fels und Gletschereis sind zum Greifen nah.
Die «offizielle» Sbrinz Route ist längst zu Ende. Ich habe die Strecke verlängert bis nach Locarno. Auf alten Mulattieras, auf welchen einst die Spazzacamini nach Mailand verbannt wurden, biken wir gen Osten. Versteckte Wege der Partisanen und alte Wege des frühen Bädertourismus leiten uns zurück in die Schweiz. Wir tauchen ein in die verwinkelten und schwer zugänglichen Täler der Lepontinischen Alpen. Maximal abgelegen hatten sich hier im zweiten Weltkrieg die Widerstandskämpfer der Resistenza verschanzt. Sie konnten von den unzähligen Bunkern, Militärwegen und Schützengräben der Linea Cadorna profitieren, welche hier im ersten Weltkrieg entstanden ist. Ein Schotterweg und später ein Trail bringt uns zum Grenzkamm, wo vor 75 Jahren die Partisanen vor den Faschisten in die Schweiz flüchteten.
Wildes Niemandsland öffnet sich. Was nun folgt ist Abenteuer pur. Der nachfolgende Trail ist bis heute ein absoluter Geheimtipp und bis heute völlig unbekannt geblieben. Gut möglich, dass wir dieses Jahr die ersten Biker welche hier unterwegs sind. Durch dutzende von Serpentinen schlängeln wir uns immer weiter ins tief eingekerbte Tal hinunter. Kaum ein Sonnenstrahl schafft es hier hinein. Weiter geht’s… Schon bald rasant und zum Schluss hin wiederum auf historischen Wegen Richtung Lago Maggiore zu unserem Ziel. Und selbstverständlich erwartet uns das obligate Bad im „Lago“. Was für ein Abschluss unserer «Biker-Via-Sbrinz».
Ganz herzlichen Dank euch allen für dieses gemeinsame Abenteuer das ich mit euch zusammen erleben durfte. Ein Abenteuer welches mich auch zurück in meine Anfangszeiten des Bikens führte. Una grande grazie Mille.
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