Die Dolomiten sind zwischen dem Sellamassiv und dem Pustertal besonders spitz und elegant. Die Felsgipfel ragen wie zu Stein erstarrte Flammen senkrecht in den Himmel – und wenn man das Ganze beim Sonnenaufgang erleben darf, dann ist es geradezu magisch. Auf wilden Alpinitrails erlebten wir eine atemberaubende Gebirgslandschaft, von der es heisst, dass es die schönste der Welt sei. Mehrmals entdeckten wir Trailschätze und Regionen, welche bis heute verborgen und unbekannt geblieben sind.
Der erste von insgesamt einem Dutzend Dolomiten-Pässe ist geschafft. Je höher wir kommen, desto mehr öffnet sich das Gelände. Mehrere Täler treffen hier zusammen und können über verschiedene Pässe verlassen werden. Eine prähistorische Wallburg auf 2600 Metern, zeugt von der einstigen Wichtigkeit dieser Region. Kuhglocken-Gebimmel führt uns durch diese wunderschöne Karstlandschaft. Schon kurz nach dem Start sind wir mittendrin im Abenteuer «Giro dei Dolomiti».
Nach der gestrigen Bergankunft erwartet uns heute eine «Frühstücks-Abfahrt». Wir sind im Schnittpunkt drei verschiedener Täler. Diese Übergänge wurden bereits vor Jahrtausenden genutzt. Wie alle Dolomitenpässe hatten sie jedoch keine überregionale Bedeutung – dies, weil der Alpenhauptkamm und somit die Wasserscheide nicht über Dolomiten verlaufen. Wir befinden uns im Ladinischen Sprachraum, der Ursprachen des Alpenraums. Der Kontrast von saftig grünen Alpweiden und den Kalkfelsen beeindruckt. Hochprozentig wird es dann am zweiten Pass. Das enge und nahezu unbekannte Seitental fordert Kraft – die Szenerie entschädigt für den steilen Uphill. Im Hintergrund die Gaislgruppe, eine Region welche wir später auf unserem Giro noch mal erleben dürfen.
Der dritte Tourentag startet besonders früh. Wir wollen das Glühen der Dolomitenfelsen beim Sonnenaufgang erleben. Inmitten dieser einmaligen Fels- und Karstlandschaft stauen und geniessen wir die Stille einer einzigartigen Naturlandschaft. Es ist kühl, die Luft ist klar und entsprechend gestochen scharf ist die Sicht. Kaum vorstellbar, dass im ersten Weltkrieg der Frontverlauf durch diese Region führte. Unzählige Militärsteige, einige davon führen mitten durch Felswände, lassen uns tief in diese wilde Landschaft eintauchen.
So richtig knackig wird der Nachmittag. Wer will kann auf einer Zusatzrunde den steilsten und härtesten Uphill der Ostalpen anpacken. Die ganze Gruppe macht mit! 1200 Höhenmeter schottriger Militärsteig. Auf den ersten 3,3 km werden satte 800 Hm absolviert. Teilweise ist der Weg mit Drahtgitter ausgelegt damit der lose Schotter nicht ins Tal runter rollt… Wer den Monte Tudaio bezwingt fährt definitiv in der allerhöchsten Bikeliga!
Heute erwartet uns der längste Kammtrail unseres «Giro dei Dolomiti». 1500 Meter über dem Talboden zwischen Veneto, Südtirol und Osttirol geht es über 25 Trailkilometern gen Osten. Mit etwas Abstand blicken wir nun zu den weissen Kalksteinspitzen hinüber. Fast den ganzen Tag biken wir parallel zu einem wahren «Stelldichein» von Zacken, Türmen und Wänden. Schon am Vorabend war klar, dass für den nächsten Nachmittag mit Regen und Gewitter zu rechnen ist. Entsprechend habe ich die Gruppe informiert und meine Strategie vorgestellt. Es gilt über grössere Distanzen in Fahrt zu bleiben und entsprechend dynamisch vorwärtszukommen. Alle möglichen Abfahrten – um möglichst schnell vom exponierten Kamm runterzukommen – habe ich präsent. Auch der Zeitbedarf, um jeweils zur nächsten Abfahrt zu gelangen kenne ich. Es klappt alles wie am Schnürchen und wir schaffen die Tour souverän vor dem angekündeten Regen und den Gewittern.
Der alte Grenzkammtrail zwischen Südtirol und Osttirol konnte ich mit einer Gruppe noch nie befahren. Immer wieder machten mir nahende Gewitter einen Strich durch die Rechnung. Heute ist Petrus aber auf unserer Seite und wir können die Tour in voller Länge erleben. Das schmale Weglein ist atemberaubend, spektakulär und nicht ganz ohne. Es braucht Konzentration und Fahrsicherheit in diesem steilen Gelände. Was wir hier erleben, ist nahezu einzigartig. Einmal mehr stelle ich fest, dass es auch in den Dolomiten noch absolut einsame Wege und Regionen gibt wo kaum ein Mensch – geschweige denn ein Biker – unterwegs ist.
Nach dem ersten Weltkrieg wurde das Südtirol, gegen den ausdrücklichen Willen der Bevölkerung, von Österreich abgetrennt und Italien zugesprochen. Italien riegelte diesen Gebirgskamm mit seinen Wegen nach Österreich hermetisch ab. Man wollte das Eindringen terroristisch orientierter Tiroler unterbinden. Heute sind diese Berge längst wieder frei passierbar und es scheint, als hätten wir diese Trails für uns allein.
Auch am letzten Tag sind noch mal Gewitter prognostiziert. Jedoch erst gegen 15 Uhr – mit meinem Zeitmanagement sollte dies eigentlich aufgehen. Die ersten beiden Berge bringen uns noch mal mitten hinein in diese Alpenwelt. Es sind alte Militärwege welche hier jeden erdenklichen Winkel erschliessen.
Urkunden belegen, dass im 12. Jahrhundert bayrische Klöster im Besitze einiger dieser Almen waren, was auf eine frühe agrarwirtschaftliche Bedeutung und Nutzung dieser Gebirgsregionen hindeutet.
Kurz nach 11 Uhr beginnen sich die Wolken bereits mächtig zu türmen. Die Gewitterdynamik setzt viel früher ein als angekündet. Während der Mittagsrast ist ein erstes Donnergrollen zu vernehmen. Plan «B» hätte ich griffbereit. Bevor ich entscheide, schaue ich mir jedoch die Dynamik der Wolken noch mal genau an. Ich nehme mir 2 Minuten Zeit. In diesem Moment höre ich u.A. auch auf mein Bauchgefühl, welches durch meine jahrelange Erfahrung geprägt ist. Dann war der Entscheid schnell gefällt: Plan «B» und los. Der Entscheid war absolut richtig…
Alle sind gesund, glücklich, stolz und zufrieden am Ziel angekommen. Was für eine Tour, was für ein Erlebnis, was für eine Gruppe – Bikespirit vom Feinsten! Euch allen ein riesiges Danke für dieses einzigartige Dolomiten-Erlebnis. Es war wunderschön mit euch zusammen all diese Emotionen zu erleben und das Bikefeeling zu geniessen!
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