Dreihundert Kilometer nördlich des Polarkreises startete unser Abenteuer. Als erste Fatbiker fuhren wir mitten durch den höchsten Norden des europäischen Festlandes bis an die Küste des Polarmeers. Wir erlebten atemberaubende Naturschauspiele, tiefgreifende emotionale Momente und absolute Einsamkeit im grössten Wildnisgebiet Europas.
Am Vorabend fegte noch ein Schneesturm über die Weiten Lapplands hinweg der etwas Neuschnee brachte. Obwohl am Starttag dann bestes Wetter herrscht passe ich die Strecke an. Denn der Neuschnee hat sich erst wenig gesetzt und es steht uns einen kraftintensivsten Tag bevor. Die Tour führt uns mitten durch eine Wintermärchen-Landschaft bis nach Inari. Mit 450 Einwohnern ist Inari für die kommenden drei Tage das letzte Dorf an unserer Route Richtung Norden.
Bei klirrenden -18°C starten wir in den Tag hinein. Wir fahren mit unseren Fatbikes heute praktisch den ganzen Tag über den zugefrorenen Inarisee. Zwischen unzähligen Inseln und Engstellen hindurch aber zwischenzeitlich auch über „offeneres Gewässer“ biken wir mitten durch absolute Stille und Einsamkeit gen Norden. Es ist der heilige See der Samen der tief in ihrer Mythologie verbunden ist. Ganze 3000 Inseln hat er und ist zugleich der tiefste See Finnlands. Der Schnee hat sich in der Nacht sehr gut gesetzt, wir kommen ausgesprochen flüssig und zügig voran. Die Temperaturen sind inzwischen auf gefühlte frühlingshafte Werte von -8°C angestiegen.
Nach über 60 km fahren wir bei einer malerischen Insel in eine versteckte Bucht hinein zu unserem heutigen Nachtquartier. Unsere beiden Betreuer die uns mit ihren Schneemobilen versorgen und betreuen, haben die Hütte und Sauna bereits eingeheizt. Wenige Minuten später sitzen wir in der heissen finnischen Sauna. Zur Abkühlung wartet das Bad im Schnee oder das so genannte „Snowswimming“. Regeneration pur! Für Körper und Geist – es ist wie im Bilderbuch. Am Abend sitzen wir am Feuer und geniessen ein typisch Samisches Abendessen mit Rentierfleisch. Bei einer kleinen Abendwanderung erleben wir einen beeindruckenden Sternenhimmel, versuchen das heute Erlebte ein wenig zu sortieren und hoffen auf die Nordlichter…
Heute erreichen wir die grösste Ausdehnung des Inarisee und bis am Abend seinen nördlichsten Fjord wo wir ihn verlassen. Der See hat eine Fläche von 1‘042 km² und ist fast doppelt so gross wie der Bodensee. Es sind unglaubliche Weiten die sich heute Morgen öffnen. Absolut alleine sind wir unterwegs. Auf 17‘000 Quadratkilometern gibt es hier eine Bevölkerungsdichte von gerade mal 0,46 Einwohnern pro Quadratkilometer.
Die Tage sind mit 13 Stunden schon relativ lang aber die Sonne steht nur wenig über dem Horizont und entsprechend lang sind unsere Schatten. Das Sonnenlicht zaubert in der klaren Polarluft faszinierende Farben in die unberührte Landschaft. Nur das Knrischen unserer Reifen ist zu hören. Fatbike-Spirit wie wir ihn noch nie erlebt haben…
In der anhin schon trockensten Region Finnlands sind im März am wenigsten Niederschläge zu erwarten. Die Luft ist glasklar, die Fernsicht ideal und die Chance für einen klaren Sternenhimmel ist am grössten. Also beste Voraussetzungen um dem möglichen mystischen Schauspiel der tanzenden Nordlichter zu zusehen.
Um 19 Uhr nahm das Schauspiel der Nordlichter dann seinen Lauf. So sehr hatte ich mich darauf gefreut dieses Naturphänomen mal mit eigenen Augen zu sehen und zu erleben. Bis gegen 21 Uhr steigerte sich dieses Schauspiel das uns tief beeindruckte. Die Emotionen die man in diesem Moment empfindet sind in Worte kaum zu fassen.
Auch an diesem Abend geniessen wir die absolute Ruhe und übernachten fernab jeglicher Zivilisation in dieser kleinen Selbstversorger-Hütte. Wiederum wurden wir von unserem Betreuerteam köstlich versorgt. Aber auch unterwegs um die Mittagszeit kochten sie für uns jeweils eine heisse finnische Suppe. Und das ganze immer in einem kleinen Blockhaus das sie jeweils für uns einheizten.
Die Etappe von heute führt uns durch die Region mit der grössten Seendichte Finnlands. Mit -25°C war es der kälteste Start, aber auch heute stieg das Thermometer bis auf -10°C. Durchschnittlich zehn Seen bzw. Teichen gibt es pro Quadratkilometer. Entsprechend oft fahren wir über kleine Erhebungen und erreichen immer wieder neue kleine See und Teiche die wir überqueren. Dazwischen liegen offene Föhrenwälder. Nur im Winter wenn alles zugefroren ist, ist für uns diese Region und diese Landschaft überhaupt per Bike erreich- und erlebbar. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt −1,3 °C und eine bleibende Schneedecke herrscht hier meist zwischen Ende Oktober und Mitte Mai.
Unsere Route führt ins Kaldoaivi-Widnissgebiet welches wir teilweise durchqueren. Am Ende der Tour erreichen wir wieder die Zivilisation und das nördlichste Dorf Finnlands. Die Landschaft wird deutlich coupierter denn wir erreichen die letzten Ausläufer der „Skanden“, resp des Skaninavischen Gebirges. Durch die sehr nördliche Lage herrschen hier extreme jahreszeitliche Unterschiede in der Sonnenscheindauer. Zwischen 24. Mai und 21. Juli scheint die Mitternachtssonne, entsprechend herrscht zwischen 4. Dezember und 8. Januar die Polarnacht.
Wie bereits gestern biken wir über unzählige kleine Erhebungen und zugefrorene Seen die von kleinen bewaldeten Hügeln gesäumt sind. Eine ausgesprochen liebliche Winterlandschaft wie aus dem Bilderbuch und wie man sich finnisch Lappland vorstellt.
Die letzte Etappe fordert noch mal Körner denn bis zum arktischen Ozean gilt es noch einige Anstiege zu überwinden. Schnell ist die Grenze nach Norwegen erreicht und es geht weiter Richtung Norden. 1852 gab es hier eine neue Grenzziehung zwischen Schweden-Norwegen auf der einen und dem Grossfürstentum Finnland auf der anderen Seite. So reicht Finnalnds Grenze heute nicht mehr bis zur Nordägäis und behinderte für lange Zeit die grenzüberschreitende Rentierzucht und Fischerei der Samen.
Der Landschaftstyp ändert sich nun innerhalb weniger Meter. Die Föhrenwälder weichen der Tundra-artigen Vegetation wo in niedrigen Lagen nur noch gedrungene Birken wachsen.
Über die letzten Hügel geht es Richtung arktischer Ozean und dann ist nach 300 km das Nordpolarmeer erreicht. Ein gewaltiger und ebenso emotionaler Moment den wir an einem der nördlichsten Landzipfel Europas erleben. Über Jahrhunderte wurden hier durch den Mut von Seefahrern, Abenteurern und Pionieren die spektakulärsten Abenteuergeschichten geschrieben. Heute aber schreiben wir an dieser Stelle und für uns persönlich ein Stück Abenteuergeschichte. Ein Abenteuer das uns für immer in Erinnerung bleiben wird. Euch allen ein ganz grosses Danke für dieses einzigartige Pionier-Erlebnis das mich tief bewegt.
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