Zwischen dem 4808 Meter hohen Montblanc und dem 3841 Meter hohen Monviso erwarte uns ein Bike-Abenteuer der Extraklasse. Aus den Walliser Alpen, durch die Grajischen Alpen und die Dauphiné bis in die Cottischen Alpen führte die Route. Fasziniert und geprägt von dieser Alpenwelt hinterlässt die Tour grosse emotionale Eindrücke. Die Abwechslung der Landschaft, die scheinbar unendliche Länge der Trails und diese anhaltende Gebrigsszenerie sind atemberaubend. Für mich ist dies DIE «Luki-Westalpen-Traverse» da sie alles vereint, was für mich das Biken ausmacht.
Der erste Tourentag steht im Zeichen des dominanten Montblanc-Massivs. Saftige Weiden, Granit und Gletschereis treffen zusammen. Dieser erste Passübergang zeigt bereits, was uns an Trails und Landschaften auf diesem Alpencross erwartet. Der Weg ist eine ursprüngliche Handelsroute und perfekt angelegt. Die Szenerie lässt uns schon kurz nach dem Start komplett in die «Luki-Westalpen-Traverse» eintauchen. Im Angesicht gewaltiger Gletscher und riesiger Felspfeiler lenken wir spielerisch unsere Bikes durch die Serpentinen ins Tal hinunter. Mit permanentem Blick aufs Montblanc-Massiv erwartet uns am Nachmittag ein «Bonus-Trail». Er muss verdient werden. Aber dann geniessen wir ein Mountain-Bike-Feuerwerk. Entspannt und glücklich erreichen wir das Ziel. Es war der «Einwärmtag» ab nun folgen quasi nur noch Königsetappen…
Am zweiten Tag verlassen wir die Montblanc Region und durchqueren die Berge des Beaufort-Massiv. Dabei erleben wir einen Landschafts-Kontrast wie er kaum grösser sein könnte. Der Morgen wird noch geprägt vom Montblanc. Hier scheint alles eine Nummer grösser zu sein, denn der höchste Alpengipfel zählt topografisch zu den prominentesten Bergen überhaupt. Bis weit ins 19. Jahrhundert wurde dieser alte Saumweg genutzt, auf welchem wir nun weiter Richtung Süden fahren. Ich suche nach Spuren des alten Trassees, welches wohl schon von den Kelten angelegt wurde. Wir erreichen den Beaufort – zu Beginnt zeigt uns schon mal seine Zähne. Aber dann erwartet uns edelste «Trailmaterie». In kurzem Auf und Ab geht es auf Trails über viele kleine Pässe. Beim Blick zurück erhebt sich hinter den grünen Beafort-Bergen der weisse Gletschergipfel des Montblanc. Ein faszinierender Kontrast und zugleich ein idealer Orientierungspunkt im völlig verwinkelten Gelände. Dann setzen wir an zum finalen 2000 Meter Singletrail-Sinkflug. Was für ein unendlicher Trail – bis heute ist er unbekannt geblieben…
Inzwischen sind wir in den Grajischen Alpen angekommen. Diese Täler gehören zu den tiefsten der Westalpen und entsprechend lang sind die Aufstiege und Abfahrten. Auf dem ersten hohen Pass erblicken wir, inzwischen weit im Norden, ein letztes Mal den Montblanc. Kaum vorstellbar, dass wir gestern noch an seinen Fels- und Gletscherwänden entlang gefahren sind. Wiederum folgt eine 2000 Meter lange und abwechslungseiche Abfahrt auf Bergwegen und ehemaligen Verbindungswegen. Der Trails in den Grajischen Alpen fordern Technikkönnen und später auch noch Dschungelerfahrung. Denn kurz vor der Mittagspause und schon fast im Tal, wird der Weg immer ungepflegter. Wir kommen immer langsamer voran. Nur noch wenige Meter denke ich und wir erreichen ein kleines Dorf, wo uns Urs mit der Mittagsverpflegung erwartet. Aber dann ist definitiv Schluss mit fahren. Dornenranken und überwuchernde Vegetation bremsen uns aus. Bald ist klar, weshalb dieser Weg aufgegeben wird – wenige Meter weiter hat ein riesiger Murgang eine gewaltige Kerbe in die Landschaft gerissen. Mehrere Meter tief ist sie und ein neuer Weg wird hier kaum mehr entstehen. Ein Durchkommen alleine ist schwierig, aber mit vereinten Kräften klappt es. Rund 45 Minuten kostet uns das Intermezzo.
Beim zweiten Aufstieg erreichen wir das Grenzgebiet von Frankreich und Italien – hier sind viele Militärwege entstanden. Dieser zweite Pass muss sprichwörtlich verdient werden da der Mittelteil sehr steil ist. Aber dann im letzten Teil folgt die Kür. Der wunderschöne Trail führt durch ein malerisches Hochtal gesäumt von Felszacken (Bild). Später geht’s vorbei an einem kleinen See an dessen Ende ein uraltes wettergegerbtes Kreuz die Passhöhe markiert. Wir haben es geschafft.
Zwischen 1500 und 1945 entstanden in keiner Region der Alpen so viele Militärwege wie zwischen der Ligurischen Küste und dem Montblanc. Französische und spanische Truppen überquerten an diesen Stellen den Alpenhauptkamm bereits im 16. Jahrhundert. In den Tälern, welche wir heute durchqueren, entstanden einige der spektakulärsten Festungen und das umfangreichste Militärwegenetz der Westalpen. Diese Trails leiten uns durch einsamstes Bergland immer der Grenze zwischen Italien und Frankreich entlang. Über ein halbes Dutzend Mal überqueren wir dabei die grüne Grenze. Eine Grenze die es früher bei der Bevölkerung in dieser Art nicht gegeben hatte. Denn damals war man befreundet. Man hatte dieselbe Kultur, Sprache, Identität und auch das bäuerliche Leben in den Bergen war dasselbe. Sogar geheiratet wurde über die Grenzen hinweg. Nur die Politik zwang diese Leute, dass aus ihren Freundschaften zwischenzeitlich Feindschaften wurden.
Am Heutigen Tourentag sind bereits am frühen Nachmittag Gewitter angesagt. Entsprechend passe ich bereits den Morgen etwas an. Wir sparen gegenüber dem ursprünglichen Plan etwa 1 Stunde Fahrzeit. Kurz vor Mittag nehme ich noch mal eine Anpassung von ca 30 Minuten vor. Inzwischen ist mein Blick mehr auf den Himmel als auf den Trail gerichtet. Im einsamen Hochland lasse ich die Gruppe auf «Zug» fahren. Keine Stopps mehr. Der letzte Pass (Bild) ist erreicht und ich sehe, wie schnell die Gewitterfront auf uns zurast. „So schnell wie möglich Runter“ ist mein Kommando. Keine Zeit mehr für Protektoren oder wärmere Kleider – wir müssen so rasch als möglich von diesen exponierten Stellen wegkommen. Nebst der Gewitterfront von Westen kommen nun auch Fronten von Süden und Norden auf uns zugerast. Die ersten schweren Tropfen sind zu spüren, das Donnergrollen kommt näher aber wir schaffen es im aller letzten Moment in die sichere Unterkunft. Sprichwörtlich eine «Sekundenlandung». Die Gruppe ist riesig dankbar, ich bin happy und genau jetzt weiss ich, dass all meine Einschätzungen und Entscheidungen der letzten 7 Stunden richtig waren.
Am fünften Tourentag erreichen wir das «Herrschaftsgebiet» des Monviso (3841) – der so genannte Cottische Kaiser überragt seine umliegenden Berge um satte 500 Höhenmeter und ist entsprechend einer der dominantesten Berge der Alpen. Es erwartet uns eines der faszinierendsten Trailreviere der Alpen. Dank seiner Abgeschiedenheit konnte diese Talschaft den ureigenen Charakter bis heute bewahren. Durch diese abgelegene – und trotzdem zentrale Lage – entstanden hier eine Vielzahl an spektakulären und historischen Handelsrouten. Die hochgelegene Pässe – alle sind zwischen 2500 bis 3000 Meter hoch – hatten in der Vergangenheit grosse Wichtigkeit. Säumer, Hirten, Valdenser, Krieger, Schmuggler, Partisanen und viele mehr überquerten hier den Alpenhauptkamm. Die meisten dieser Pässe habe ich mit dem Bike und auf verschiedenen Crossen überquert. Sie alle gehören für mich zu den spektakulärsten Bike-Übergängen. Mit drei Pässen zwischen 2700 und 2900 ist es die Königsetappe. Aber nicht nur deshalb. Es ist vor allem auch die Landschaft und diese unendlich langen Trails durch diese enorm langen Täler. In den Alpen gibt es nur wenige solch einsame und abgelegene Gebiete wie hier. Sie erinnern sie mich an die riesigen Anden-Täler.
Nach so vielen Erlebnissen scheint eine Steigerung nicht möglich zu sein. Aber der sechste Tag ist der Tag, wo wir in meinen „Bikehimmel“ fahren. Und somit gibt es noch mal Trailmaterie und ein Landschaftskino auf allerhöchstem Level. Eine Reizüberflutung erwartet uns. Singletrails und Militärsteige führen durch verwinkelte Gebirgslandschaften bis in die entlegensten Winkel im einsamsten Grenzgebiet zwischen Italien und Frankreich. Heute müssen noch mal alle Kraftreserven mobilisiert werden. Wunderschöne Felslandschaften, malerische Seen, spektakuläre Militärfestungen und einzigartige Trails. In diesen Bergen leben noch einsame Hirten mit ihren Schafen, die auf traditionelle Landwirtschaft setzen und ein einfaches Leben führen. Das Bergland ist verwinkelt – fünf Pässe und ein Gipfel erklimmen wir, bis der finale und spektakuläre Abfahrtsritt beginnt. Der schmale Steig nutzten die Partisanen im 2. Weltkrieg. Gut versteckt führt er durch steile Wandfluchten in ein malerisches Seitental und unserem Ziel entgegen.
Die Eindrücke, die wir seit dem Montblanc erlebt haben müssen sortiert werden… Es ist kaum in Worte zu beschreiben was wir erlebten.
Danke euch allen für dieses gewaltige Abenteuer welches mich tief geprägt hat. Danke Urs, für deine hervorragende Betreuung welche so wichtig ist. Danke Markus für dein Co-Guiding auf all den Etappen. Das war einmal mehr Mountainbiking a la Westalpen mit Emotionen die ganz, ganz tief gehen! Una grande grazie mille a tutti!
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