Eine Woche lang durften wir in die faszinierende Gebirgswelt des Hohen Atlas eintauchen. Der 2300 km lange Gebirgszug ist fast doppelt so lange wie der Alpenbogen. Wir erlebten ein orientalischer Trail-Genuss auf den unendlich langen Berbertrails. Diese waren einst die Hauptverbindungen von den weltentrückten und hochgelegenen Bergdörfern zu den Märkten in der Ebene unten. Noch heute werden sie vereinzelt von Hirten mit ihren Schafen und Ziegen, oder von Bauern mit ihren Eseln genutzt. Was wir in Marokko in „nur“ sieben Tagen erlebten, ist kaum in Worte zu fassen und hinterlässt in uns tiefe emotionale Eindrücke.
Bereits am Ankunftstag tauchen wir mitten hinein in eine andere Welt. Wir erleben die sagenumwobene orientalische Kultur.
Am nächsten Morgen geht es dann ins Atlas-Gebirge. Der erste grosse Kammrücken zeigt uns bereits die Charakteristik der Atlas-Trails. Es ist eine ideale Tour, um sich schon mal mit den Trails und den Gegebenheiten vertraut zu machen. Der körnige und rutschige Untergrund erfordert eine angepasste Fahrweise. Die Vorderbremse setze ich deutlich dosierter ein als auf den Alpentrails, der Druck aufs Aussenpedal ist entscheidend wie auch der Luftdruck in den Reifen. Hier im Atlas fahre ich jeweils mit ca 0,1 bar weniger in den Reifen als in den Alpen.
An den Landschaftseindrücken können wir uns schon jetzt kaum satt sehen. Die Hangflanke links von uns, fällt 800 Meter zur grossen Ebene hinunter ab. Rechts von uns stemmen sich die Berge über 3000 Meter hoch in den Afrikanischen Himmel. Insgesamt gibt es im Atlas über 300 Berggipfel, welche die 3000-Meter Marke knacken. Was wir heute an Trails serviert bekommen, ist erst der Vorgeschmack auf die kommenden Tage.
Kilometerlange Trails verbinden die weit abgeschiedenen Berber-Dörfer miteinander. Der Kontrast zu Marrakech ist enorm. Hier in den Bergen ticken die Uhren komplett anderes – die Leute leben seit Jahrhunderten ihr traditionelles Leben und sind bis heute Selbstversorger geblieben. Der Esel ist ihr Arbeits-, Last- und Transporttier und somit quasi überlebenswichtig. Da diese keine steilen Anstiege mögen, haben ihre Pfade eine sanfte Neigung und führen kunstvoll wie elegant durch das verwinkelte und mit Gräben durchzogene Gelände. Geschickt umgehen sie Stellen die schwierig zu überwinden sind. Markierungen oder Wegweiser gibt es keine, jedoch entwickelt man mit der Zeit ein Auge für die richtige «Esel-Fährte» und wird mit Atlas-Flow vom allerfeinsten verwöhnt.
Am dritten Tourentag biken wir kontinuierlich Richtung Westen. Trail-Spektakel um Trail-Spektakel folgt. Die Wege aufzuspüren war einst eine riesige Herausforderung. Nur an wenigen Stellen sind sie so offensichtlich wie hier. Stimmt die Route, ist jedoch stundenlanges «Trailriden» garantiert.
Bis vor wenigen Jahren, waren diese Wege für die Berber, die einzigen Verbindungen zur «Aussenwelt». In den letzten Jahren wurden die abgelegenen Dörfer vermehrt mit Schotterwegen erschlossen. Motorisiert oder mechanisiert ist hier in den Bergen jedoch nichts und niemand. Und so sind die versteckten Eselpfade auch heute noch in bestem Zustand und für versierte Biker ein wahr gewordener Trail-Traum.
Beeindruckend weite Landschaften prägen den Mittleren Atlas. Nach 800 Höhenmetern tauchen wir in diese neue Welt ein. Die Berge lehnen sich zurück, in den Tälern gibt es viel Platz für die Bauern, die ihre kargen Getreidefelder bestellen. Auf traditionelle Art mit Sichel geschnitten wird das Erntegut kilometerlang auf Maultieren in die Dörfer gebracht. Wir steigen kontinuierlich bergan bis zu unserer Unterkunft auf 2000 Metern.
Es kommt mir vor, als ob ich bereits seit Monaten unterwegs bin – das «moderne» Europa ist unendlich weit weg.
Leider hat das Erdbeben vom vergangenen September in dieser Region unglaubliche Schäden angerichtet. Das Leben von zehntausenden von Berbern hat sich schlagartig verändert. In mühseliger Arbeit wird wieder aufgebaut, was von der Natur in 20 Sekunden sprichwörtlich zu Boden geworfen wurde. Trotz diesem Schicksal winken und lachen uns die Leute zu. Wir sind gern gesehene Gäste in ihrer Heimat.
Diese Trails, dieses farbige Gestein und dazwischen immer wieder grüne Vegetation und intensive Gerüche – es eine Natur die uns staunen lässt. Von den weiten Hochebenen geht es nun spektakulär in die tiefen Täler hinunter und wieder zurück. Faszinierend angelegte Wege inmitten einer atemberaubenden Geologie ziehen uns tief in den Bann.
In den niederen Lagen, wird auf den Feldern das erste Mal Korn geerntet. Die kleinen und mit Steinen beschwerten Haufen werden von den Eseln abgeholt und ins Dorf gebracht. Die Berber haben sich mit der Natur arrangiert und sie machen einen glücklichen und stolzen Eindruck. In den Dörfern werden wir begrüsst. Die Kinder stehen am Wegrand und halten uns ihre Hände entgegen – wir klatschen sie ab, sie sind begeistert, sie lachen und rufen uns zu.
Kaum enden wollende Singletrails führen uns am letzten Tag aus den hohen Bergen zurück ins riesige Flachland vor dem Atlas. Wir geniessen noch mal dieses wilde Gebirge. Mit Bewässerungskanälen und mit Hilfe von Terrassierungen ringen sie auf diesem kargen Boden Früchte, Gemüse und Getreide ab. Es fasziniert mich wie in den völlig abgeschiedenen Tälern die Bergdörfer überleben. Es folgen edelste und unendlich lange Trails, welche uns aus dem Atlas hinausführen, in die riesige Ebene hinter Marrakech.
Wir sind in den Atlas abgetaucht und in ein Leben, dass sich die vergangenen Jahrhunderte kaum verändert hat. Enorm beeindruckt und tief berührt hat uns diese Tour, die uns in eine unbekannte und neue Welt führte. Es braucht Zeit all die Emotionen zu verarbeiten. Vielen, vielen Dank liebe Atlas-Biker/innen für diese Singletrail Tour, die wir zusammen im ursprünglichen Berberland erleben durften.
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