Auf atemberaubenden Militärtrails durch die vergessenen Täler (19. – 26. September)

Im Grenzgebiet zwischen den Cottischen Alpen und den Seealpen tauchten wir ein in das wild-alpine Piemont. Eine Alpenregion, die sich in den letzten Jahrhunderten – abgesehen von der Abwanderung – wenig verändert hat. Auf atemberaubenden und extravagant angelegten Militärtrails erlebten wir eine Landschaftsszenerie, die sich ganz tief in unser Bikerherz eingebrannt hat.


In den wilden Seealpen wurde von den Strassenbaumeistern des 2. Weltkrieges alles abverlangt. Das Gelände ist rau, das Gestein ist hart und die Berghänge sind enorm steil. In einem schmalen Coulvar – begrenzt von senkrechten Felsflanken – schraubt sich dieser Weg in vielen Serpentinen zum schmalen Passübergang hoch. Genügend Platz gibt es kaum und so musste weiter oben für eine Serpentine gar ein Tunnel gebohrt werden. Leider ist das Wetter in den ersten drei Tagen labil. Wegen Wolken und Nebel können wir die Wucht dieser Alpenlandschaft zeitweise nur im Ansatz erkennen. Das geplante Tourenprogramm stelle ich etwas um, so dass wir auch in diesen Tagen das grösst mögliche Bikeerlebnis haben.


Über mehrere Pässe und durch unzählige Täler biken wir stundenlang durch das menschenleere Grenzgebiet von Stura-, Maira- und Ubayetal. Hier erleben wir auf eindrucksvollste Art den Kontrast zwischen der West- und Ostseite des Alpenhauptkamms. Während es auf der Westseite weich geschwungen ist (Bild oben) sind es auf der Ostseite tiefe Wandfluchten (Titelbild). Heute ist dies das Land der einsamen Hirten mit ihren grossen Schafherden. In dieser Landschaft und auf diesen Trail erleben wir meinen persönlichen „Bikehimmel“.


Der Militärpfad schlängelt sich mit über 50 Kehren zum Grenzkamm hoch. Eine italienische Festung befindet sich 150 Höhemeter vor der Passhöhe. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Grenzen neu verlegt und so befindet sich diese Anlage heute auf französischem Territorium. Aus den Seelapen hinaus blicken wir Richtung Norden zu den Cottischen Alpen. Wir sind mitten drin in einer Tour, welche uns mit der enormen und wilden Abgeschiedenheit der Seealpen voll erfasst und nachhaltig prägen wird.


Mehr denn je wird uns bewusst, dass kein Aufwand zu gross war, um auch in die entlegensten Winkel einen Weg zu bauen. In kaum einer anderen Alpenregion entstanden zwischen 1500 und 1945 mehr Militärwege als im Valle Stura. Nur dank diesem umfangreichen Wegenetz können wir heute mit dem Bike in eine der urtümlichsten und wildesten Alpenlandschaften vordringen. Zahlreiche Pflanzenarten, die hier existieren, sind Endemiten wie z.B. der Argentera Steinbrech, der noch aus der Zeit der Dinosaurier stammt. Sie blüht einmal in ihrem Leben, nach etwa 30 Jahren, danach stirbt sie ab. Diese Tour führt durch die südlichsten 3000-er und die südlichsten Blockgletscher des gesamten Alpenbogens


In den südlichen Piemontesischen Tälern kann man noch die okzitanische Kultur und Sprache erleben. Nirgends hatten die Alpen eine marginalere Veränderung als hier. Die Industrialisierung und der Tourismus blieben fast gänzlich aus. Das tief unter uns liegende Neraissatal hat in den letzten 100 Jahren eine Abwanderung von 99,3% erlebt! Während 1890 noch 550 Personen hier lebten, so sind es heute noch deren vier. Eine dieser vier Personen haben wir hier oben auf einer alten Vespa getroffen. Sie hat wohl zu ihren handvoll Kühen geschaut. Im Hintergrund der sagenumwobene Wiesenkamm wo gemäss einer Sage jeweils bei Vollmond, eine weisse Stute in wildem Ritt drüber galoppiert.


Wir biken über längst aufgegebene Alpweiden. Die Natur holt sich das Territorium zurück, welches ihr die Menschen während Jahrhunderten in harter Arbeit abgerungen haben. Eine einst blühende Kulturlandschaft verwildert langsam. Das unglaubliche Wegenetz, die vielfältigen Traditionen und die reich verzierten Kirchen sind noch Zeugen dieser Zeit. Ein Stück davon können wir auf unseren Bikes noch erfahren und erleben. Eine Gegebenheit, die mich hier im wilden Piemont immer wieder tief beeindruckt.
Es ist für mich ein Privileg und eine unglaubliche Freude, dass ich euch dies zeigen durfte und mit euch zusammen meine «zweite Heimat» erleben konnte. Grazie mille für all diese tief greifenden Emotionen!

Kommentare

14. Oktober 2020
Was für ein herrlicher Saisonabschluss. Tolle Trails in unbekanntem Gebiet. Hübsches Hotel mit kleiner, feiner Wellnessanlage wie man es kaum erwarten würde. Köstliches Essen. Ausgeglichene Gruppe (Gruppe B war recht homogen unterwegs) und alles wunderbar geleitet von unserem Guide Ueli. Der Dank geht natürlich auch an Luki für die ganze Organisation etc. Es hat alles gepasst. Bin ich nun auch angefixt und werde wiederkommen? Auf alle Fälle spricht nichts dagegen!
1. Oktober 2020
Lieber Luki & Ueli nun, Ihr habt es geschafft... nun gehöre auch ich definitiv zu den Wiederholungstätern und konnte unglaublich viele und unvergessliche Eindrücke und Momente mit nach Hause nehmen. Auf fast vergessenen Pfaden und nicht aufhörenden Trails war die Woche viel zu schnell vorbei und immer noch zehre ich von all dem Schönen und Unvergesslichen. Der Seelische Akku ist proppenvoll geladen und für das andere gibts ja den Dorfbrunnen :-) Merci vell vell mol & auf ein nächstes Mal!!!
29. September 2020
ein Bikeerlebnis der EXTRAKLASSE! Tolle und extrem eindrückliche Landschaft verbunden mit Trails die des gleichen suchen und ein Bikeguide der sogar die geschichtlichen Hintergründe kennt. Eine extrem eindrückliche Bikewoche mit vielen Eindrücken ist leider viel zu schnell vorbeigegangen. Ein grosses DANKESCHÖN an den Bikeguide Luki für diese tolle Woche die er wie immer auf eine extrem souveräne Art und weise leitet und alle zum Staunen bringt, was im Prinzip fahrbar ist!
Stefan
28. September 2020
„…. ich war ja schon oft mit Dir unterwegs aber diese Trails und Touren waren noch unglaublicher als je. Ich glaube das geht so geballt nur mit Dir und in einer solch tollen Gruppe. Und haben wir viel gelacht. Dazu tolles Hotel und super Piemont-Küche. Wie schön, dass wir das zusammen erleben durften. 1000x Danke and Dich und Euch alle... und bitte bald wieder !“ Stefan Zimmermann
Samuel Kummrow
27. September 2020
Eine weitere Traumwoche mit Luki wo konsequent auf höchstem Niveau gebiked wird. Wie es Luki schafft sämtlichen Teilnehmern eine so lange Leine zu lassen und über die anspruchsvollen und langen Tage auf individuelle Wünsche einzugehen ist mir immer wieder ein Rätsel. Die velorenen Trails in wildestem Gebirge und unglaublichen, geschichtsträchtigen Orte, welche er uns Tellerfertig under die Räder zaubert werden untermauert mit perfekt durchdachter Kombination von Unterkunft und kulinarischer Qualität. No BS, just genuine mountainbiking!

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