Auf historischen Wegen bikten wir vom Vierwaldstättersee über die Alpen bis zum Lago Maggiore. Rund 100 Jahre, nachdem der Saumverkehr endgültig zum Erliegen kam, war ich 1989 als Teenager auf diesen Pfaden unterwegs. Erst viele Jahre später sollte sich herausstellen, dass dies einer der ersten Alpencross mit dem Mountain-Bike war.
Ich nahm nun ein umfangreiches «Strecken-Upgrade» vor und passte die gesamte Tour der heutigen Biketechnologie und dem heutigen Fahrtechnikkönnen an. Höhenmeter, Anspruch und Trailanteil sind um ein Vielfaches höher als 1989. Entstanden ist ein spektakulärer Cross mit viel Historie. Eine Tour welche versierteste Biker mit mächtig viel Abenteuer und Herausforderungen beschenkt und mit genau so viel Pioniergeist verwöhnt wie ich es vor 34 Jahren erlebte.
Die Sbrinzroute beginnt in Stansstad am Vierwaldstättersee. Hier gibt es ein grosses Sust-Gebäude und Waren wurden vom Schiff auf die Maultiere umgeladen. Denn ab hier ging es auf dem Landweg weiter Richtung Süden. Schon bald verlassen wir jedoch die «offizielle» Sbrinz-Route und biegen ein auf einen anderen uralten Handelsweg. Funde belegen, dass dieser Passübergang bereits in der Bronzezeit (vor ca 5000 Jahren) genutzt wurde. Gut möglich, dass er auch von den alten Säumern der Sbrinz Route ab und an begangen wurde. Denn Strecken-Anpassungen waren zur Zeit der Säumer gang und gäbe. Wegen der kleinräumigen politischen Gliederung und deren ständiger Veränderung, gab es auch immer mal neue Zollstationen welchen man – wenn möglich – ausgewichen ist. Aber auch kriegerische Auseinandersetzungen oder Belagerungen von wichtigen Übergängen führten immer wieder zu beschwerlichen Ausweichrouten.
Der erste Tag benötigt auf jeden Fall schon mal ordentlich Kraft und in der Abfahrt werden wir bereits mit edelster «Trailmaterie» gefordert. Verwöhnt werden wir mit einer Landschaft Szenerie die nachhaltig beeindruckt. Da ist eine Übernachtung in einem heimeligen Berggasthaus, 1000 Meter über dem Talboden und inmitten dieser Bergwelt, genau das passende.
Wie bereits am ersten Tag, ist auch für heute labiles Wetter mit Gewitter und Hagel für den Nachmittag angesagt. Wie immer habe ich mir einige «Points of no return» gesetzt an welchen ich anhand des Wolkenbildes die weiteren Entscheidungen fälle. Auch ein zeitiger Start und weitere wichtige Details gehört in diesem Fall zu meiner Strategie.
Da wir heute auf dem Berg übernachtet haben startet der zweite Tag mit einem Down-Hill. Die nächtlichen Gewitterwolken verziehen sich und die ersten Bergspitzen werden von der Sonne in goldenes Licht getaucht. Der Trail ist nun flüssiger zu fahren als gestern Nachmittag. Spektakulär bleibt er aber weiterhin. Im Talboden biegen wir ein auf die nächste alte Saumroute. Über Jahrhunderte sind hier immer wieder neue Wege und Strassen entstanden. Doch der alte Saumweg ist abschnittsweise noch prächtig erhalten. Die Talschaft unter uns wurde im 12. Jahrhundert von Walsern erreicht welche neue Siedlungsräume aufsuchten. Wie an vielen Orten prägten sie in diesen Zeiten den Saumhandel. Sie gehörten nicht nur zu den versiertesten Wegebauern dieser Epoche. Sie waren es sich auch gewohnt mit Vieh und Last über höchste Pässe zu gehen und waren dementsprechend erfahren im Umgang mit Natur und Wetter.
Wie immer denke ich mir auf diesen Wegen, welche Geschichten sie mir wohl erzählen könnten. Was jeder einzelne von diesen Trails erlebt hat, würde Geschichtsbücher füllen.
Heute erreichen wir die höchsten Übergänge unserer Tour (Titelbild). Stundenlanges Trail-Biken ist angesagt und dies in einer der schönsten Alpenlandschaften der Schweiz. Wir dringen immer mehr vor ins Hochgebirge – Fels und Gletschereis sind zum Greifen nah. Wir kommen nun in die abgelegensten Regionen unserer Tour. Das labile Wetter bleibt uns die gesamte Tour über erhalten – entsprechend halte ich an meiner Touren-Strategie fest. Eine Strategie welche schlussendlich jeden Tag perfekt aufgeht.
Ein aussichtsreicher Höhenweg mit Blick in die Tessiner Alpen leitet uns kontinuierlich in Richtung Piemont. Alte Dörfer liegen an der Route – hinter dem letzten Dorf befand sich einst ein wichtiges Hospiz, wo sich die Wege Richtung Süden oder Westen trennten. Güter wurden umgeschlagen und es herrschte reges Treiben. Nach dem Zusammenbruch des Saumhandels ist hier – wie auch in den Piemontesischen Bergtälern – Ruhe eingekehrt. Erschliessungsprojekte mit der Eisenbahn blieben aus, die Täler entvölkerten sich immer mehr.
Ich suche vergeblich nach Spuren der alten Saumroute. Es spielt keine Rolle. Der herrlich angelegte Trail führt uns immer mehr hinein in die wilde und malerische Bergwelt. Ein Juwel eines Trails der uns an Flanken, durch Täler und über Pässe hinweg führt.
Die «offizielle» Sbrinz Route ist längst zu Ende. Ich habe die Strecke verlängert bis nach Locarno. Auf alten Mulattieras, auf welchen einst die Spazzacamini nach Mailand verbannt wurden, biken wir gen Osten. Versteckte Wege der Partisanen und alte Wege des frühen Bädertourismus leiten uns zurück in die Schweiz. Wir kommen in die verwinkelten und schwer zugänglichen Täler der Lepontinischen Alpen. Hier hatten sich im zweiten Weltkrieg die Widerstandskämpfer der Resistenza verschanzt. Sie konnten von den unzähligen Bunkern, Militärwegen und Schützengräben der Linea Cadorna profitieren, welche hier im ersten Weltkrieg entstanden ist. Ein Schotterweg und später ein Trail bringt uns zum Grenzkamm, wo vor 75 Jahren die Partisanen vor den Faschisten in die Schweiz flüchteten.
Wildes Niemandsland öffnet sich vor uns. Was nun folgt ist Abenteuer pur. Der nachfolgende Trail fordert, fördert und vor allem beeindruckt er. Immer weiter schlängeln wir uns ins tief eingekerbte Tal hinunter. Kaum ein Sonnenstrahl schafft es hier hinein. Weiter geht’s… Schon bald rasant und zum Schluss hin wiederum auf historischen Wegen Richtung Lago Maggiore zu unserem Ziel.
Ganz herzlichen Dank euch allen für dieses gemeinsame Abenteuer das ich mit euch zusammen erleben durfte. Ein Abenteuer welches mich auch zurück in meine Anfangszeiten des Bikens führte. Grazie mille.
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