In den vergangenen 15 Jahren überquerte ich in den wilden Westalpen unzählige Pässe und fuhr zehntausende (Trail)-Kilometer durch die vergessenen Täler dieser einzigartigen Alpenlandschaft. Inspiriert vom GTA-Weitwanderweg, reifte schnell die Idee von einer Biketour, die durch diese besonders abgeschiedene Alpenregion führen sollte. Lange Zeit schien es mir keine ideale Streckenführung zu geben. Erst als ich die Idee eines klassischen Nord-Süd-Alpencrosses verworfen hatte, zeichnete sich in meinen Gedanken mehr und mehr eine unglaubliche Tour ab. Schnell war klar, dass dies der härteste Alpencross wird, den ich je in meinem Tourenprogramm hatte. Eine Tour die zehn okzitanische Täler miteinander verbindet und wo in sechs Tagen gerade mal zwei Dörfer und fünf Weiler passiert werden. Auf steilen Uphills geht es über höchste Pässe und auf knackigen Abfahrten hinunter in die gottverlassenen Talschlüsse der längsten Westalpen-Täler. Möglichst nah dem Alpenhauptkamm folgend erlebt man Natur- und Gebirgsszenerien die für immer prägen.
All die Täler – ob auf italienischer oder auf französischer Seite – sind stark von der, bis heute anhaltenden, Abwanderung geprägt. Der «moderne» Tourismus konnte nur punktuell Fuss fassen. Dies führte dazu, dass diese Berge und Talschaften bis heute einzigartig und ursprünglich geblieben sind. Jedes dieser okzitanischen Täler hat seinen ureigenen Charakter. Von der Westalpen-Faszination werden wir bereits auf den ersten Metern tief in den Bann gezogen. Asphalt gibt es heute keinen einzigen Meter und nach drei Minuten sind wir auch bereits auf dem ersten Trail unterwegs. Am ersten Tag ist das Gelände sehr verwinkelt, über unzählige Pässe führen alte Militärwege und leiten in atemberaubende Talschaften. Für die Partisanen im zweiten Weltkrieg waren dies ideale Rückzugsorte. Hier konnten sie sich verstecken und im Notfall schnell über verschiedene Pässe in andere Täler oder gar nach Frankreich fliehen. So zart wie die Abfahrt beginnt so knackig wird sie bereits nach wenigen Metern – ein Appetizer auf das was uns die kommenden Tage verwöhnen wird.
Zwei Mal überqueren wir am zweiten Tag den Alpenhauptkamm und somit die Wasserscheide zwischen Ligurischem Meer und Adria. Satte sechs Stunden Singletrail an einem Stück. In den ersten drei Tagen ist das Gelände noch etwas weicher und geschwungener dann werden die Reliefunterschiede immer grösser. Der Übergang mit seinen aufgestellten Steinplatten hat was mystisches. Er ist schlicht zu abgelegen, als dass er für den Saumverkehr interessant gewesen wäre. Benutzt wurde er in früheren Jahrhunderten, als die Bevölkerung von Armut und Hunger nach Frankreich getrieben wurde. Uns Biker verwöhnt der Übergang mit tibetanischen Dimensionen wie man sie in den Alpen nur selten erlebt.
Immer wieder beeindruckend ist der Unterschied der Topografie zwischen der Ost- und Westseite des Alpenhauptkamms. Erst noch sind wir aus den tiefen Tälern des Piemonts emporgefahren, erwarten uns ab der Wasserscheide nun weite Hochplateaus und weich geschwungene Übergänge. Das Ganze in Höhenlagen zwischen 2500 – 3000 Meter. Wir geniessen einen «Ruhetag», bevor es ab morgen wieder zurück ins Piemont geht und deutlich steiler wird…
Auf einer uralten Salzhandelsroute geht es dem Montviso (3841) entgegen. Ein Gletscherfeld krallt sich noch an seine steile Nordflanke. Dieser markante Berg ist für mich das Synonyme für die Westalpen. Auf allen Westalpen-Crossen und in allen Bikecamps der Westalpen, dominiert der «Cottische Kaiser» das Alpen-Panorama. So nahe ran wie heute, waren wir mit dem Bike aber noch nie. Auf fünf Kilometer Luftlinie kommen wir an seinen Gipfel ran. Im Angesicht dieses Berges überqueren wir einer der beeindruckendsten Pässe des gesamten Alpenbogens. Dank der historischen Salzhandelsroute und den alten Militärsteigen können wir heute mit unseren Bikes in diese wilde Hochgebirgswelt vordringen.
In den Tälern der Valdenser wird es dann noch wilder. Die Geologie erinnert schon eher an die Seealpen. Das Gestein ist hart und der Aufwand für die Kriegsbaumeister war immens. Kaum zu glauben in welch wilde und einsame Bergwelten hier solche Militärwege gebaut wurden. Wir fahren vorbei an Kanonen mit Baujahr 1916 und an alten Kasernen. Je nach geopolitischer Ausrichtung des Piemonts wurden die Valdenser in diesen Tälern verfolgt oder als tapfere Krieger und Gebietskenner gegen die Franzosen eingesetzt. Gut möglich, dass diese Wege nur dank ihrem Wissen und Können in diese raue Bergwelt hinein gebaut werden konnten. Auf jeden Fall haben sie einen ganz anderen Charakter als all die anderen Militärwege, die wir bis anhin befahren haben. Spontan erinnert er mich schon eher an die alten Jagdwege von König Emanuele Vittorio in den Seealpen.
Am letzten Tag wartet die grösste Uphill-Herausforderung. Ein längst vergessener Pass führt in unser 10. Okzitanisches Tal und langsam zurück in die Zivilisation. Der lange Aufstieg ist definitiv einer der härtesten den ich in den Alpen kenne. Die Abfahrt fordert zu Beginn volle Konzentration, wird dann aber immer flüssiger. Vorbei an Blumenwiesen voller Edelweisse rauschen wir dem Tal entgegen. Nach so vielen Herausforderungen warten am Schluss dann satte 25 Kilometer Flow-Trail auf uns. In diesem Moment wird mir so richtig klar was wir soeben geschafft. Der Traum von der Alta Via Piemonte – quasi einem “Bike-GTA” – ist in Erfüllung gegangen.
Es braucht Zeit diese Eindrücke zu sortieren und zu realisieren was wir da geschafft haben. Der ganzen Bikegruppe und Urs unserem grossartigen Betreuer und Helfer, ein riesiges “grazie mille” für diesen einzigartigen Bikecross. Es war mir eine Ehre mit euch zusammen diese Tour in dieser spektakulären Bergwelt zu erleben und zu erfahren. Die Eindrücke haben sich tief in mein Bikeherz eingebrannt!
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