Auf wilden Trails durch die einsamen Okzitanischen Täler (14. – 21. August)

In den vergangenen 15 Jahren überquerte ich in den wilden Westalpen unzählige Pässe und fuhr zehntausende (Trail)-Kilometer durch die vergessenen Täler dieser einzigartigen Alpenlandschaft. Inspiriert vom GTA-Weitwanderweg, reifte schnell die Idee von einer Biketour, die durch diese besonders abgeschiedene Alpenregion führen sollte. Lange Zeit schien es mir keine ideale Streckenführung zu geben. Erst als ich die Idee eines klassischen Nord-Süd-Alpencrosses verworfen hatte, zeichnete sich in meinen Gedanken mehr und mehr eine unglaubliche Tour ab. Schnell war klar, dass dies der härteste Alpencross wird, den ich je in meinem Tourenprogramm hatte. Eine Tour die zehn okzitanische Täler miteinander verbindet und wo in sechs Tagen gerade mal zwei Dörfer und fünf Weiler passiert werden. Auf steilen Uphills geht es über höchste Pässe und auf knackigen Abfahrten hinunter in die gottverlassenen Talschlüsse der längsten Westalpen-Täler. Möglichst nah dem Alpenhauptkamm folgend erlebt man Natur- und Gebirgsszenerien die für immer prägen.


All die Täler – ob auf italienischer oder auf französischer Seite – sind stark von der, bis heute anhaltenden, Abwanderung geprägt. Der «moderne» Tourismus konnte nur punktuell Fuss fassen. Dies führte dazu, dass diese Berge und Talschaften bis heute einzigartig und ursprünglich geblieben sind. Jedes dieser okzitanischen Täler hat seinen ureigenen Charakter. Von der Westalpen-Faszination werden wir bereits auf den ersten Metern tief in den Bann gezogen. Asphalt gibt es heute keinen einzigen Meter und nach drei Minuten sind wir auch bereits auf dem ersten Trail unterwegs. Am ersten Tag ist das Gelände sehr verwinkelt, über unzählige Pässe führen alte Militärwege und leiten in atemberaubende Talschaften. Für die Partisanen im zweiten Weltkrieg waren dies ideale Rückzugsorte. Hier konnten sie sich verstecken und im Notfall schnell über verschiedene Pässe in andere Täler oder gar nach Frankreich fliehen. So zart wie die Abfahrt beginnt so knackig wird sie bereits nach wenigen Metern – ein Appetizer auf das was uns die kommenden Tage verwöhnen wird.


Zwei Mal überqueren wir am zweiten Tag den Alpenhauptkamm und somit die Wasserscheide zwischen Ligurischem Meer und Adria. Satte sechs Stunden Singletrail an einem Stück. In den ersten drei Tagen ist das Gelände noch etwas weicher und geschwungener dann werden die Reliefunterschiede immer grösser. Der Übergang mit seinen aufgestellten Steinplatten hat was mystisches. Er ist schlicht zu abgelegen, als dass er für den Saumverkehr interessant gewesen wäre. Benutzt wurde er in früheren Jahrhunderten, als die Bevölkerung von Armut und Hunger nach Frankreich getrieben wurde. Uns Biker verwöhnt der Übergang mit tibetanischen Dimensionen wie man sie in den Alpen nur selten erlebt.


Immer wieder beeindruckend ist der Unterschied der Topografie zwischen der Ost- und Westseite des Alpenhauptkamms. Erst noch sind wir aus den tiefen Tälern des Piemonts emporgefahren, erwarten uns ab der Wasserscheide nun weite Hochplateaus und weich geschwungene Übergänge. Das Ganze in Höhenlagen zwischen 2500 – 3000 Meter. Wir geniessen einen «Ruhetag», bevor es ab morgen wieder zurück ins Piemont geht und deutlich steiler wird…


Auf einer uralten Salzhandelsroute geht es dem Montviso (3841) entgegen. Ein Gletscherfeld krallt sich noch an seine steile Nordflanke. Dieser markante Berg ist für mich das Synonyme für die Westalpen. Auf allen Westalpen-Crossen und in allen Bikecamps der Westalpen, dominiert der «Cottische Kaiser» das Alpen-Panorama. So nahe ran wie heute, waren wir mit dem Bike aber noch nie. Auf fünf Kilometer Luftlinie kommen wir an seinen Gipfel ran. Im Angesicht dieses Berges überqueren wir einer der beeindruckendsten Pässe des gesamten Alpenbogens. Dank der historischen Salzhandelsroute und den alten Militärsteigen können wir heute mit unseren Bikes in diese wilde Hochgebirgswelt vordringen.


In den Tälern der Valdenser wird es dann noch wilder. Die Geologie erinnert schon eher an die Seealpen. Das Gestein ist hart und der Aufwand für die Kriegsbaumeister war immens. Kaum zu glauben in welch wilde und einsame Bergwelten hier solche Militärwege gebaut wurden. Wir fahren vorbei an Kanonen mit Baujahr 1916 und an alten Kasernen. Je nach geopolitischer Ausrichtung des Piemonts wurden die Valdenser in diesen Tälern verfolgt oder als tapfere Krieger und Gebietskenner gegen die Franzosen eingesetzt. Gut möglich, dass diese Wege nur dank ihrem Wissen und Können in diese raue Bergwelt hinein gebaut werden konnten. Auf jeden Fall haben sie einen ganz anderen Charakter als all die anderen Militärwege, die wir bis anhin befahren haben. Spontan erinnert er mich schon eher an die alten Jagdwege von König Emanuele Vittorio in den Seealpen.


Am letzten Tag wartet die grösste Uphill-Herausforderung. Ein längst vergessener Pass führt in unser 10. Okzitanisches Tal und langsam zurück in die Zivilisation. Der lange Aufstieg ist definitiv einer der härtesten den ich in den Alpen kenne. Die Abfahrt fordert zu Beginn volle Konzentration, wird dann aber immer flüssiger. Vorbei an Blumenwiesen voller Edelweisse rauschen wir dem Tal entgegen. Nach so vielen Herausforderungen warten am Schluss dann satte 25 Kilometer Flow-Trail auf uns. In diesem Moment wird mir so richtig klar was wir soeben geschafft. Der Traum von der Alta Via Piemonte – quasi einem “Bike-GTA” – ist in Erfüllung gegangen.
Es braucht Zeit diese Eindrücke zu sortieren und zu realisieren was wir da geschafft haben. Der ganzen Bikegruppe und Urs unserem grossartigen Betreuer und Helfer, ein riesiges “grazie mille” für diesen einzigartigen Bikecross. Es war mir eine Ehre mit euch zusammen diese Tour in dieser spektakulären Bergwelt zu erleben und zu erfahren. Die Eindrücke haben sich tief in mein Bikeherz eingebrannt!

Kommentare

Rolf Weibel
24. August 2021
Heja - das war wieder eine unglaubliche Bike-Woche! - Danke Luki! Wir erleben und durchfahren jeweils so viele Täler und Regionen - nach ein paar Tagen weiss man gar nicht mehr, wie man diese Eindrücke einordnen und verarbeiten soll! Wahnsinn. Natürlich musste auch ich wieder meine Grenzen erfahren - aber genau darum liebe ich diese Wochen! Liebe okzitanische Täler und Berge - ich komme wieder!! und herzliche Grüsse an alle Beteiligten und danke an Urs, für sein stilles Schaffen im Hintergrund!
Patrick Stoop
23. August 2021
Luki und Urs, vielen herzlichen Dank für die grossartige Organisation und Durchführung dieses atemberaubenden Crosses. Wie immer bei solchen Unternehmungen war das Wetter im Vorfeld ein Thema. Glücklicherweise während der Tour überhaupt nicht mehr, man konnte einfach geniessen (nebst ein paar Schweisstropfen). Das Essen in den Unterkünften und zwischendurch war, wie ich es von den Touren mit Luki gewohnt bin, fein und reichhaltig. Vielen Dank für all die tollen Stunden auf und neben dem Bike! Patrick
23. August 2021
Es war einmal mehr eine grandiose Tour - und womöglich tatsächlich eine Spur grandioser als meine bisherigen Luki-Touren. Anspruchsvolle Trails, tolle Landschaft und gute Leute kommen hier zusammen - und alles spürbar mit extrem viel Herzblut herausgesucht und geguided. Danke!
Martin
23. August 2021
Nochmals herzlichen Dank Luki! Die Woche hat etwa auf dem Level gestartet, bei dem wir in den letzten Jahren geendet haben und hat sich kontinuierlich gesteigert – Panorama, Trails und Wetter waren top! Mein ultimatives Highlight war Tag 4 in seiner ganzen Vielfalt. Der Cross reiht sich ganz vorne ein …! Ein riesen Dank an dich für diese einzigartige Tour und an Urs für seinen Betreuer-Einsatz am frühen Morgen wie auch am Abend.
23. August 2021
«Härtester Alpencross» ist für wahr nicht übertrieben! Ganz nach dem Motto «Un kilomètre à pied, ça use les souliers” – bei mir war es wohl der eine oder andere (Kilo-)Meter mehr – haben wir uns auf fordernden Up- und Downhills von Süden nach Norden durch diese faszinierende Region bewegt. Unglaublich waren die Eindrücke, die bei jeder Tour auf mich einprallten. Jeder neue Tag und jedes weitere Tal hat mit neuen Highlights aufgewartet – schnell waren da all die Strapazen vergessen. Dank der grossartigen Gruppe wurde es mir sowohl auf als auch neben dem Trail nie langweilig. Danke insbesondere auch an Urs für die Betreuung und Organisation während der gesamten Tour. Vielen Dank Luki für ein weiteres unvergessliches Kapitel Bike-Geschichte!
Urs Wäckerlin
22. August 2021
Es war mir ein grosses Vergnügen ein Teil dieses Abendteuer zu sein. Nicht auf meinem Bike aber als Betreuer durfte ich diese wunderschöne Landschaft miterleben. Gratulation an alle Biker - sie habe eine grandiose Leistung vollbracht.

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