Auf atemberaubende Militärtrails durch die wilden Westalpen (7. – 14. August)

Da wo die Cottischen Alpen auf die Seealpen treffen, ist das Piemont besonders wild und einsam. Die Region ist stark von der Abwanderung geprägt und der «moderne» Tourismus konnte hier nie Fuss fassen. Dies führte dazu, dass diese Berge und Talschaften bis heute einzigartig und ursprünglich geblieben sind. Über Jahrhunderte ist eine fast unglaubliche Fülle an spektakulärsten Trails entstanden. Die Fertigkeit und das Können, mit welcher vor allem die alten Militärtrails ins hochalpine Gelände hineingebaut wurden, ist atemberaubend. Auf ihnen erlebten wir ein Trail-Feuerwerk in einer der wildesten Landschaften des gesamten Alpenbogens.


Bis zu einer beeindruckenden Bunkeranlage führt dieser steile Trail. Von hier oben konnte man, im 2. Weltkrieg, die natürliche Engstelle des Sturatals kontrollieren. Mit Taschenlampen ausgerüstet schauen wir uns die labyrinthartige Anlage an. Eine üppige Vegetation und viele saftige Heidelbeeren säumen unseren Weg. Wenig später erreichen wir ein ehemaliges Schmugglerdorf. Im Winter jeweils über Monate von der Aussenwelt abgeschnitten passierte es, dass vor vielen Jahren die Leute im Dorf die Zeit vergessen hatten. Niemand im Dorf wusste das genaue Datum. Der mutigste von ihnen wagte es durch die tief verschneiten Lawinenhänge ins Tal hinabzusteigen, um rauszufinden ob das Weihnachtsfest noch bevorsteht oder ob dieses allenfalls schon vorbei ist.


Die Berglandschaft zwischen dem Valle Stura und dem Valle Maira ist wegen ihren vielen Übergängen und weiten Hochplateaus, eine besonders faszinierende Region. Auch die Geologie ist einzigartig, weshalb sie vom italienischen Staat in die Liste der besonders schützenswerten Landschaften aufgenommen wurde. Dank diesem Umstand sind die vielen alten Militärstrassen seit einigen Jahren befreit vom motorisierten Verkehr. Wir haben diese Bergwelt für uns allein. Über Pässe, durch steile Flanken und auf aussichtsreichen Kreten fahren wir mitten durch eine enorm verwinkelte Landschaft. Sich zu orientieren ist eine Herausforderung. So ergangen ist es auch einem spanischen Heer, welches sich im 16. Jahrhundert in diesen steilen Bergen verrannte. Im tief eingeschnittenen Tal unter uns kamen sie schlussendlich nicht mehr weiter. Heute trägt das völlig abgeschiedene Tal den Namen «Vallone di Spagnoli».


Über mehrere Pässe und durch unzählige Täler biken wir stundenlang durch das menschenleere Grenzgebiet von Stura-, Maira- und Ubayetal. Hier erleben wir auf eindrucksvollste Art den Kontrast zwischen der West- und Ostseite des Alpenhauptkamms. Während es auf der Westseite weich geschwungen ist, sind es auf der Ostseite tiefe Wandfluchten (Bild oben). Wir biken über längst aufgegebene Alpweiden. Die Natur holt sich das Territorium zurück, welches ihr die Menschen während Jahrhunderten in harter Arbeit abgerungen haben. Eine einst blühende Kulturlandschaft verwildert langsam. Das unglaubliche Wegenetz, die vielfältigen Traditionen und die reich verzierten Kirchen sind noch Zeugen dieser Zeit. Ein Stück davon können wir auf unseren Bikes noch erfahren und erleben. Eine Gegebenheit, die mich hier im wilden Piemont immer wieder tief beeindruckt.


Aus dem ehemals breiten Militärweg ist inzwischen ein schmaler Wiesentrail geworden. In perfekter Steigung windet er sich dem Gipfel entgegen. In den einsamen Talschaften unter uns kann man noch die okzitanische Kultur und Sprache erleben. Nirgends hatten die Alpen eine marginalere Veränderung als hier. Die Industrialisierung und der Tourismus blieben fast gänzlich aus. Das tief unter uns liegende Neraissatal hat in den letzten 100 Jahren eine Abwanderung von 99,3% erlebt! Während 1890 noch 550 Personen hier lebten, so sind es heute noch deren vier. Jetzt wo die Italiener Ferien haben wirkt das Tal belebt – sie verbringen die Tage in den alten und kühlen Steinhäusern ihrer Vorfahren. Im Hintergrund die Seealpen mit dem Cima Argentera (3297). An seinen steilen Hängen befinden sich die südlichsten Blockgletscher der Alpen.


In den wilden Seealpen wurde von den Strassenbaumeistern des 2. Weltkrieges alles abverlangt. Das Gelände ist rau, das Gestein ist hart und die Berghänge sind enorm steil. In einem schmalen Coulvar – begrenzt von senkrechten Felsflanken – schraubt sich dieser Weg in vielen Serpentinen zum schmalen Passübergang hoch. Genügend Platz gibt es kaum und so musste weiter oben für eine Serpentine gar ein Tunnel gebohrt werden. Nur dank diesen einmaligen Trails sind für uns die wilden Seealpen befahrbar. Sie fordern und fördern auch die versiertesten Biker, denn die Steigungen sind hochprozentig und die Abfahrten knackig…


Mehr denn je wird uns bewusst, dass kein Aufwand zu gross war, um auch in die entlegensten Winkel einen Weg zu bauen. In kaum einer anderen Alpenregion entstanden zwischen 1500 und 1945 mehr Militärwege als im Valle Stura. Nur dank diesem umfangreichen Wegenetz können wir heute mit dem Bike in eine der urtümlichsten und wildesten Alpenlandschaften vordringen. Zahlreiche Pflanzenarten, die hier existieren, sind Endemiten wie z.B. der Argentera Steinbrech, der aus der Zeit der Dinosaurier stammt. Sie blüht einmal in ihrem Leben, nach etwa 30 Jahren, danach stirbt sie ab.
Es ist für mich ein Privileg und eine unglaubliche Freude, dass ich euch dies zeigen durfte und mit euch zusammen meine «zweite Heimat» erleben konnte. All diese Stimmungen ob auf dem Trail, auf der Piazza beim Gelati oder beim feinen Abendessen habe ich enorm genossen. Grazie mille an euch alle für diese tiefgreifenden Eindrücke! Ein riesiges grazie mille auch an Co-Guide Ueli – das alles war Bikespirit vom feinsten.

Kommentare

20. August 2021
Was für eine eindrückliche Woche! Einerseits durften wir uns kulinarisch verwöhnen lassen und geniessen, anderseits haben uns die spektakulären Bike-Routen alles abverlangt und unser voller Einsatz war gefordert. Malerische Dörfer, imposante Felsformationen, weite Täler, traumhafte Ausblicke und fantastische Trails wechselten sich ab und das alles bei herrlichstem Wetter. Ein grosses Kompliment den Guides Luki und Ueli, welche diese perfekten Routenkombinationen ausgearbeitet haben und dafür sorgten, dass wir nicht vom rechten Weg abkamen, uns interessante Hintergrundinformationen lieferten und uns wo nötig technisch und moralisch unterstützten :-) Danke auch den übrigen Teilnehmern, wir haben viel gelacht und viel zusammen erlebt, ihr wart einfach toll! Herzliche Grüsse Sonja & Markus
Stefan Zimmermann
19. August 2021
Es war einfach super GENIAL !!! Die anspruchsvollen Trails, die echte Naturlandschaft, das tolle nette Hotel, das gigantische SlowFood essen nötig für das volle Sportprogamm und vor allem ihr alle: Eine wunderbare Gruppe u Teamgeist. 10000 Danke lieber LUKI. So kann man nur mit Dir biken !!! Auf ganz bald. Lg STEFAN
19. August 2021
Caro Luki 2016 hast Du mich erstmals ins Valle Maira "entführt". Seither bin ich diesen ursprünglichen okzitanischen Tälern verfallen und tief beeindruckt von Deiner Art zu guiden. Das Valle Stura habe ich dieses Mal mit Co-Guide Ueli "erfahren": Vielen Dank Ueli, Du hast unsere heterogene Gruppe super geführt :-) Salve & alla prossima - Werni
Daniel Keller
18. August 2021
Die wilden Westalpen, es zieht mich immer wieder dorthin!! Wir sind wieder eingetaucht in eine Wunderwelt von Abenteuer, Intensität und Leidenschaft. In Kombination mit der exzellenten Küche von Bartolo höchster piemontesischer Genuss auf allen Ebenen!! Vielen herzlichen Dank und Trailgrüess Daniel
17. August 2021
Was ich im Stura Tal erleben zusammen mit wundervollen Kollegen erleben durfte, gehoert zu meinen praegensten Erlebnisse der letzten 20 Jahre. Atemberaubende Natur, abgrundtiefe Schluchten, Single Trail Abfahrten welch recht fordernd waren Lange, teilweise sehr steile und schweisstreibende Aufstiege und eine unbeschreibliche Stille draussen in der wildromantischen Natur. Im Hotel della Pace in Sambuco wurden wir vom Slow Food Koch Borto und seiner Familie mit Spezialitaten aus dem Stura Tal verwoehnt. Einen besonderen Dank geht an Ueli, welcher die "Bluemli" Gruppe mit sehr viel Empathie betreute.
Frowin
15. August 2021
Das Piemont, da kommen mir Genüsse wie Weine, Essen und Haselnüsse in den Sinn. Aber mein Sinn für Neues in dieser Region ist durch Dich "Piemont-Luki" erweitert worden: Biken mit vollem Genuss. Saubere (harte) Auffahrten, wunderschöne Almlandschaften, (fast) keine Touristen, frisches Wasser und lange, anspruchsvolle Singletrails. Genüsse vom Feinsten für einen Biker. Danke Luki für diesen Blick aufs Piemont und die Woche mit Dir und den weiteren Bikern, tolle Gruppe! Lieben Gruss, Frowin
Chrigel Weiss
15. August 2021
Mein Trailguide Luki! Wenn steilste Berge aus diesem Stein Geschichten erzählen könnten, dann wären diese aus den piemontesischen Westalpen sicher besonders spannend, messerscharf und energiegeladen. Nur für Experten! Danke Dir einmal mehr für die intensiven Momente anderer Dimensionen. Un saluto, Chrigel.

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