Vom Atlantischen Ozean durch das gesamte Pyrenäen-Gebirge bis zum Mittelmeer. In 14 Etappen traversierten wir die Pyrenäen in ihrer gesamten Länge von West nach Ost. Zwischen Baskenland und Katalonien überquerten wir zwölf Mal den Pyrenäen-Hauptkamm. Ein Bike-Abenteuer, das uns zwei Wochen durch ein ursprünglich-wildes Gebirgsmassive führte und dabei tiefste Bike-Emotionen hinterlassen hat.
Tausend Kilometer und 35’000 Höhenmeter liegen vor uns. Am Golf von Biskaya startet unsere Tour die uns zu Beginn durch das Baskenland führt. Die grünen, runden und weich geschwungenen Baskischen Hügel sind ideal für unseren Prolog. Der Schriftstelle Tucholsky beschrieb diese Berge 1925 treffend: „Diese Hügelzüge sind wie erstarrte Musik“. Woher die Basken abstammen, ist bis heute ein Mysterium. Es wird vermutet, dass sie die ersten Bewohner Europas waren. Auch ihre Sprache ist einzigartig und mit keiner anderen verwandt. Vermutlich ist sie gar die älteste Sprache Europas. Diese Theorie gefällt den Basken, da diese die Franzosen und Spanier in die Rolle der Eindringlinge versetzt, wie einst die Karthager, Römer, Germanen, Westgoten, Franken und Mauren, die ihnen eine fremde Kultur aufzwingen wollten. Im Hintergrund können wir noch mal das Meer erkennen. Dann tauchen wir vollends in die üppige baskische Vegetation ein. Abschnittsweise werden wir von den typischen Farn-Trails geradezu verschlungen.
Es ist bereits der fünfte Biketag und wir sind inzwischen tief in das Abenteuer „Pyrenäencross“ eingetaucht. Wir erklimmen nicht nur den höchst anfahrbaren Punkt der Pyrenäen, sondern fahren auch an den Rand der tiefsten Schlucht Europas – der Grand Canyon der Pyrenäen. Bis dieser Ausblick genossen werden kann gilt es 1200 Höhenmeter steiler Schotterweg zu erklimmen. Aber das Panorama belohnt und bleibt allen für immer in Erinnerung. Die höchsten Berge sind schon über 3300 Meter hoch. Dieses Jahr sind sie besonders früh schneefrei was mich zuversichtlich stimmt für die bevorstehenden höchsten Pyrenäen-Übergänge. Über 160 verlassene Dörfer gibt es in diesen Regionen. Die Bevölkerungsdichte ist eine der geringsten in ganz Europa.
Über zwei Stunden biken wir auf diesem Trail. Es ist der alte Bewirtschaftungsweg eines Wasserkanals. Mitten durch lotrechte Felswände und kleine Tunnels verläuft er hunderte von Metern über dem Talboden. Das Tal war bei Verfolgten des Franco-Regimes und bei Partisanen eine wichtige Fluchtroute hinüber nach Frankreich. In den weit abgeschiedenen Dörfern wird bis heute das seltene Chistabin gesprochen, einen der lebendigsten Dialekte des Aragonés. Die Sprache aus dem 8. Jahrhundert konnte sich nur noch in diesen Bergtälern halten. Es ist auch das Reich der letzten Pyrenäenbären. Ein gutes Dutzend dieser vom Aussterben bedrohten Tierart lebt noch in diesen fast menschenleeren Regionen.
Es ist der vielleicht kräfteraubendste Anstieg unseres Pyrenäen-Crosses der uns zu den höchsten Pyrenäenbergen und zu den südlichsten Gletschern des europäischen Festlandes bringt. Ein schöner Schotterweg leitet uns in ein weites Hochtal. Ab hier beginnt dann der Singletrail-Aufstieg zum Pyrenäen-Hauptkamm – es ist ein ehemaliger Saumweg aus dem Mittelalter. Mit riesigem Krafteinsatz und grossem Willen ist da noch einiges fahrbar. Im Hintergrund thront der 3’404 Meter hohe Pico de Aneto – 1842 wurde er von einer französischen Seilschaft das erste Mal bestiegen. Wenig später durchqueren wir ein schmaler und gut versteckter Felseinschnitt und gelangen hinüber nach Frankreich – es ist der spektakulärste Pass unserer Pyrenäen-Traverse.
Zuerst an tiefblauen Seen entlang schrauben wir uns wenig später durch 70 Serpentinen dem Tal entgegen. Er ist weit und breit der am besten ausgebaute Passweg – wer ihn nicht nutzen wollte musste riesige Umwege in Kauf nehmen. Bis zum 19 Jahrhundert war der grenzüberschreitende Warenverkehr mit Verträgen genau geregelt. Faszinierende Weganlagen und Hospize sind Zeugen der einstigen Bedeutung dieses Übergangs. Früher führten Ordensbrüder die beiden Hospize am Talende nördlich und südlich des Hauptkammes. Sie hatten den Passweg mit 2 m hohen Pfählen zu markieren, den Weg ganzjährig in Stand zu halten und alle Toten zwischen Hospiz und Passhöhe zu begraben. Für mich ist dieser Übergang immer mit einer gewissen Spannung verbunden. Denn das Wetter muss passen, um diesen knapp 2500 Meter Pass zu überqueren. Kommt dazu, dass die Region als Wetterküche bekannt ist und innerhalb kurzer Zeit gewaltige Gewitter entstehen können. Nicht umsonst starten wir bei diesem Tourentag jeweils um 6 Uhr in der Früh.
Mit fast 2800 Meter haben wir unseren höchsten Punkt erreicht. Zwei Kilometer über dem Talboden ist die Aussicht gewaltig. Im Grenzgebiet von Andorra und Spanien startet mit 3300 Höhenmeter nicht nur unsere Königsetappe, sondern es gibt mit 1700 Höhenmeter auch den längsten Up-Hill dieser Tour. Ab hier teilen sich die Pyrenäen in mehrere grosse Bergkämme auf – nirgends sind sie so breit wie hier. Kaum vorstellbar, dass sie in vier Tagen zu Ende sind und „unsere“ Pyrenäenberge im Meer „versinken“.
Mit einer einzigartigen Gruppe, die zu einem Team zusammengewachsen ist, durfte ich ein gewaltiges Pyrenäen-Abenteuer erleben. Vielen herzlichen Dank an alle „Pyrenäen-Crosser/innen“ und an unsere Betreuerin Isabelle – die uns so perfekt untersützt hat – für diese einmalige Zeit und diese einzigartigen Emotionen. Dieses Erlebnis mit euch hat sich tief in mein Herz eingeprägt. Muchas gracias!
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